ROBERT SCHUMANN (1810 – 1956)
„Versäume keine Gelegenheit, dich auf der Orgel zu üben;
es gibt kein Instrument, das am Unreinen und Unsauberen
im Tonsatz wie im Spiel sogleich Rache nähme, als die Orgel.“
Robert Schumann
Robert Schuhmann,
Kohlezeichnung von Eduard Bendemann, 1859
(nach einer Daguerreotypie von 1850)
Robert Schumann und die Orgel
Die beiden Jahre 1809 bis 1811 könnten als Beginn musikalischer Hochromantik bezeichnet werden: vier große Vertreter dieser Epoche wurden innerhalb des kurzen Zeitraumes geboren – Felix Mendelsssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Frédéric Chopin und Franz Liszt.
Die enge Freundschaft zwischen Robert Schumann und Felix Mendelssohn-Bartholdy, deren Interesse und Wertschätzung der Musik nicht nur ihrer Zeit, sondern auch der des 17. und 18. Jahrhunderts, besonders der Kompositionen J. S. Bachs galt, trug wesentlich dazu bei, die Traditionen lebendig zu halten.
Beide Komponisten hatten schon in den ersten Jahren ihrer musikalischen Ausbildung am Klavier auch Orgelunterricht erhalten, beiden waren seit Ihrer Jugend Orgelkompositionen Bachs vertraut – beide waren von dessen Kompositionsstil fasziniert und trugen eine große Verehrung für Bach in sich.
Im Alter von 11 Jahren hatte Mendelssohn seine erste Orgelkomposition geschrieben, der während seines weiteren Lebens kleinere und mittlere Werke folgten bis zum Höhepunkt der VI Orgelsonaten op. 65, die 1845, zwei Jahre vor Mendelssohns Tod, nahezu gleichzeitig in England, Deutschland und Italien publiziert wurden.
Als konzertierender Organist war Mendelssohn einer der bekanntesten und erfolgreichsten seiner Zeit – nach einem fulminanten Orgelkonzert in der Londoner St. Paul’s Cathedral (1837) wurde er sogar als der größte bezeichnet der jemals in London gespielt habe.
Von Schumanns Enthusiasmus für die Musik des Barock zeugen zunächst seine Schriften: der erst Vierundzwanzigjährige hatte 1834 die „Neue Zeitschrift für Musik“ gegründet– sie besteht kontinuierlich bis heute als älteste Musikzeitschrift. In diesem publizistischen Forum plädierte Schumann, der nicht nur ein Meister der Klänge, sondern auch der Sprache war, eindringlich für die Pflege der Barockmusik und ermunterte die musikalische Jugend, sich damit auseinanderzusetzen und sie zu studieren. Der Einfluss seines Freundes Mendelssohn wird immer wieder deutlich spürbar: Schumann bewunderte dessen Fähigkeit, die klassische (barocke) Tradition mit den musikalischen Ausdrucksmitteln des 19. Jahrhunderts zu verbinden, sowohl als Komponist, als auch als Interpret. So würdigte er etwa enthusiastisch das einzige Orgelkonzert mit Werken von J. S. Bach, das Mendelssohn in Deutschland gespielt hatte (1840 in Leipzig) in seiner Musikzeitschrift, wo er auch den 6 Orgelsonaten eine ausführliche, begeisterte Rezension widmete.
In seinem Gesamtschaffen zeigt sich Robert Schumann als echter Vertreter der Romantik, der sich ohne das Korsett des strengen Satzes oder formaler Schemata, wie etwa dem der klassischen Sonate, voll entfalten kann. Das Wort, die Dichtung seiner Zeit, inspirierte ihn nicht nur in seinem umfangreichen Liedschaffen – vor allem in vielen seiner Klavierwerke vermittelt er Geist und Inhalt literarischer Vorlagen durch die Sprache seiner Musik.
Robert Schuhmann,
Portraitbüste von Alfred Hrdlicka 2003,
Guß Alfred Zöttl
(Wienbibliothek im Rathaus – Musiksammlung
(Foto: Clemens Kneringer)
Der künstlerischen Krise Schumanns, die sich bereits 1844 in depressiven, lethargischen Verhaltensmustern abzuzeichnen begann, suchten Robert und mit ihm auch Clara entgegenzuwirken durch intensive Beschäftigung mit dem strengen Satz, basierend auf dem Studium von Friedrich Wilhelm Marpurgs „Abhandlung von der Fuge“ und Luigi Cherubinis „Theorie des Contrapunktes und der Fuge“. Eine eigenhändige Abschrift Schumanns von J. S. Bachs „Kunst der Fuge“ belegt, wie intensiv sich jener in diesen Jahren mit dessen Kompositionsstil auseinandergesetzt hatte.
Als eine Art Ersatz für die Orgel und auch als Übungs-instrument mietete Schumann im April 1845 ein „Pedalwerk“ zu seinem Flügel. Einige polyphone Kompositionen wurden so zu Früchten der Beschäftigung mit dem Pedalflügel.
Als erstes Werk dieses polyphonen Stils sind die „Studien für Pedalflügel. Sechs Stücke in canonischer Form“ Opus 56 zu nennen. Diese – mit Ausnahme der ersten Studie, die an J. S. Bachs Inventionen erinnert – typisch romantischen Charakterstücke bilden einen Zyklus, auf den jener Satz Schumanns zutrifft, mit dem er Mendelssohns „Präludien und Fugen für Klavier“ Opus 35 beschrieben hatte: „Es sind nicht allein Fugen, mit dem Kopf und nach dem Rezept gearbeitet, sondern Musikstücke, dem Geist entsprungen und nach Dichterweise ausgeführt.“ Schumanns „Studien“ klingen auf der Orgel wunderbar trotz klavieristischer Satzweise sowie dynamischer Vortragsbezeichnungen, die für die Orgelmusik der Mitte des 19. Jahrhunderts unüblich sind und eher dem Orgelstil zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprechen.
Ähnliches ist über die „Vier Skizzen für Pedalflügel“ Opus 58 zu sagen. Die polyphonen Elemente sind hier keineswegs vorherrschend, stattdessen nehmen die Skizzen das Genre des Charakterstücks vorweg, wie es später durch Kompositionen von Max Reger und Siegfried Karg-Elert populär wurde.
Die einzigen echten Orgelstücke Schumanns sind die „Sechs Fugen über den Namen BACH für Orgel oder Pedalflügel“ Opus 60. Die Arbeit an diesem Werk beschäftigte Schumann mit Unterbrechungen von April bis September 1845. (In diesen Monat fällt auch die Publikation sowohl der Studien als auch der Skizzen.) Schumanns Äußerungen über sein Opus 60 zeigen, wie sehr ihm dieses Werk am Herzen lag und wie er sich auch intensiv mit der Fugenkomposition Bachs auseinandersetzte.
„Die meisten der Bachschen Fugen sind aber Charakterstücke höchster Art, zum Teil wahrhaft poetische Gebilde, deren jedes seinen eigenen Ausdruck, seine besonderen Lichter und Schatten verlangt“. Folgerichtig ergibt sich daraus ein Satz Schumanns über die Fugenkompositionen Mendelssohns: „Jedenfalls bleibt immer die die beste Fuge, die das Publikum – etwa für einen Straußschen Walzer hält, mit anderen Worten, wo das künstliche Wurzelwerk wie das einer Blume überdeckt ist, dass wir nur die Blume sehen.“
In seinen „BACH-Fugen“ zeigt sich Schumann als meisterhafter Kontrapunktiker in der Vielfalt polyphoner Satzkunst, die in der den Zyklus beschließenden Doppelfuge kulminiert. Gleichzeitig sind diese Fugen aber auch ausdrucksstarke Kompositionen, die Schumann selbst als „Charakterstücke, aber im strengen Stil“ bezeichnete. Wunderbare Beispiele sind die virtuose zweite Fuge, die meditative dritte, die witzige, scherzoartige fünfte und der glänzende, symphonische Schluss der sechsten. Darüber hinaus ist aber vor allem in der ersten, vierten und sechsten Fuge der Einfluss barocken Kompositionsstils nicht zu übersehen.
Obwohl vor Schumanns Opus 60 schon einige Fugen über den Namen BACH geschrieben worden waren und in der Romantik der zweiten Jahrhunderthälfte auch andere bedeutende Werke über BACH entstanden – wie jene von Liszt und Reger – gebührt Schumanns Fugen Opus 60 ein Ehrenplatz in der langen Reihe der BACH – Kompositionen.
Fast wie eine Prophetie erscheint in diesem Licht ein Brief Schumanns an seinen Londoner Verleger Whistling 1846, in dem er über sein Opus 60 schrieb: „ Es ist dies eine Arbeit, an der ich das ganze vorige Jahr gearbeitet, um es in etwa des hohen Namens, den es trägt, würdig zu machen, eine Arbeit, von der ich glaube, dass sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird.“
Helga Scholz-Michelitsch
Literatur:
Robert Schumann: Schriften. Bd 2. – 51914
Hans Joachim Moser: Orgelromantik. – 1961
Klaus Peter Richter: Die stockende Zeit – Aspekte Schumannschen Kontrapunktes in den Kompositionen op. 56, 58 und 60 für Pedalflügel oder Orgel. In: Robert Schumann.1. – 1981. Musik-Konzepte. Sonderband.
Hans Fagius: The Organ Works of Mendelssohn and Schumann and their Link to the Classical Tradition. In: Proceedings of the Göteborg International Organ Academy 1994. – 1995.
Ernst Burger: Robert Schumann. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten. – 1999.
Burkhard Meischein: „Nach Dichterweise ausgeführt“. Robert Schumanns Werke für Orgel oder Pedalklavier. In: Studien zur Orgelmusik . 1. – Zur deutschen Orgelmusik des 19. Jahrhunderts. – 6 2003.