Franz Schmidt als Cellist nach einer Radierung von Anton Karlinsky
(Wien Museum)
FRANZ SCHMIDT (1874 – 1939)
Franz Schmidt, einer der letzten großen Spätromantiker des 20. Jahrhunderts, wurde am 22. Dezember 1874 in Pressburg geboren. Die außerordentliche musikalische Begabung des Kindes wurde im elterlichen Hause gefördert, sowohl durch Hauskonzerte als auch im ersten Klavierunterricht durch die Mutter.
Einen bedeutenden Platz in der musikalischen Erlebniswelt des Knaben Franz Schmidt nahm die Orgel ein; im Pressburger Dom erhielt er den ersten Unterricht auf diesem Instrument.
Nach der Übersiedlung der Familie nach Wien studierte Schmidt ab 1890 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Komposition bei Robert Fuchs und Cello bei Ferdinand Hellmes-berger. Dem verhassten Klavierunterricht bei Theodor Leschetitzky widersetzte er sich mit Erfolg.
Als Cellist war Schmidt ab 1896 fünfzehn Jahre lang Mitglied der Wiener Philharmoniker, seit 1901 wirkte er als Cello-Lehrer am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, nach dessen Verstaatlichung zur Akademie erhielt er 1914 eine Professur für Klavier, 1922 für Kontrapunkt und Komposition, in den Folgejahren bekleidete er – alternierend mit Joseph Marx – die Ämter des Direktors bzw. Rektors der Staatsakademie bzw. der Hochschule für Musik und darstellende Kunst.
Wenige Jahre später zeichnete sich ein beginnendes körperliches Leiden ab, das letztlich 1937 zu seiner Pensionierung führte. Schmidts letzte Lebensjahre waren geprägt von physischen Zusammenbrüchen und Höhepunkten intensiver Schaffenskraft. Erfolge und Ehrungen, unter anderem das Ehrendoktorat der Universität Wien, waren Schmidt bis kurz vor seinem Tode am 11. Februar 1939 vergönnt.
In seinen Schöpfungen nimmt Franz Schmidt eine Zwischenstellung ein zwischen dem letzten Aufrauschen hochromantischen Klangstils und der so ganz anders gearteten Musik des durch eine rasante Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik geprägten 20.Jahrhunderts. Ausgangspunkt seines Schaffens war ein „hochentwickelter Spiel- und Formungstrieb“ (Erich Schenk), der das Musikantische in Schmidts Stil ausmacht.
Franz Schmidt in seinem Heim in Perchtoldsdorf mit der Partitur
„Das Buch mit sieben Siegeln“
(Foto Brühlmeyer, Wien)
In seinem größtem Werk, seinem Opus summum, dem Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“, gelang Schmidt der grundlegende Wandel zum Ausdrucksmusiker, indem er hier ein Werk höchster visionärer Suggestivkraft vom „Standpunkt des tief religiösen Menschen und Künstlers“ schuf.
In vier Symphonien, zwei Variationenwerken, zwei Klavierkonzerten und der Orchesterfassung der Chaconne für Orgel manifestiert sich Schmidts Œuvre für Orchester. Sein kammermusikalisches Schaffen ist besonders dem Klavier verpflichtet, es wurde zu einer der persönlichsten Ausdrucksformen des Komponisten.
Neben bloß zwei Klavierwerken schuf Franz Schmidt eine Fülle von Orgelkompositionen, zahlenmäßig fast die Hälfte seines Gesamtœuvres. Das Formprinzip der Fuge ist in diesen 20 Kompositionen dominierend. Schmidts Orgelmusik entstammt einer Epoche des Streits um die Vorherrschaft des Ideals der romantischen Konzertorgel einerseits und der historischen Barockorgel andererseits. Für Schmidt blieb immer die musikalische Aussage wesentlich, und so ging er den Weg vom individualistischen Klangkolorit zur objektivierenden Darstellung, ohne jedoch zum Klangasketen zu werden, auch an der Orgel nicht. Schmidts Idealvorstellung von der Orgel bietet dem Komponisten Möglichkeiten, wienerische Klangseligkeit und spätromantische Stimmungs-expression vor dem Zerfließen zu bewahren und in feste Formen zu bannen.
Schier Unglaubliches wird über Schmidt als Musiker und als Lehrer in zahlreichen Anekdoten berichtet: sei es, dass er – ohne zu üben – über ein pianistisches Können verfügte, das selbst Virtuosen in Staunen versetzte, sei es, dass er die schwierigsten Partituren von Symphonien, Opern oder jedes Klavierkonzerts von Bach bis Brahms, von Tschaikowsky oder Grieg auswendig beherrschte. In vielen seiner Schüler lebt Schmidts Erbe weiter, und in vielen von ihnen wird das Musikantische, Spezifikum wienerischer Interpretationskunst, spürbar, in der Wiener Klavier- oder Orgelschule ebenso wie in der Komposition.
Helga Michelitsch